Workshop Bericht vom 25.04.2015 zum Thema «Platz des verstorbenen Geschwisters – Jetzt und Zukunft»
Schon wieder sind mehrere Monate vergangen seit dem letzten Workshop – die Treffen von Lifewith führen mir immer wieder vor Augen, wie schnell die Zeit vergeht und leider oft auch, wie schnelllebig das Leben ist. Ich bin also froh, dass mir der bevorstehende Nachmittag wieder einmal die Möglichkeit gibt, einen Moment inne zu halten, einen Moment ganz bewusst mit meinem verstorbenen Bruder zu verbringen.
Auch dieses Mal dürfen wir ein neues Gesicht begrüssen, eine neue Geschichte, ein neues Geschwister, welches zur Gruppe stösst und den Nachmittag bereichern wird. Wir besammeln uns im gemütlich eingerichteten Raum und beginnen mit einer kleinen Vorstellungsrunde. Obwohl ich die meisten Betroffenen schon von vergangenen Workshops kenne, ist es dennoch immer wieder eine gute Art und Weise in den Nachmittag einzusteigen.
Nachdem schon einige Betroffene von ihrem Geschwister erzählt hatten, nehme auch ich die Zündholzschachtel, zünde eine Kerze an für meinen Bruder und erzähle von ihm. Ich merke, wie ich jedes Mal andere Dinge als wichtig erachte, an unserer Beziehung, unserer Geschichte, an seinem Leben und wie ich so bei jedem Workshop etwas anderes in den Mittelpunkt meiner Erzählung rücke. Auch fällt mir auf, dass mich das Sprechen von ihm nicht mehr so aus der Bahn wirft, wie ich es in den ersten Workshops erlebt habe. Ob dies ein gutes Zeichen ist? Ein Zeichen dafür, dass die Zeit eben doch Wunden zu heilen vermag? Ich bin noch etwas skeptisch und beschliesse, den Rest des Nachmittags auf mich zukommen zu lassen, vielleicht finde ich ja noch eine Antwort auf meine Frage.
Nachdem alle Kerzen auf dem Tisch angezündet wurden und somit alle Geschwister „unter uns“ sind, sind wir dankbar für eine kurze Pause an der frischen Luft.
In Zweiergruppen steigen wir anschliessend – begleitet von einem Zitat aus dem Buch „Sorge dich nicht“ von Samira Zingaro“ – ins Thema „Welchen Platz möchte ich meinem verstorbenen Geschwister geben, jetzt und in Zukunft?“ ein. Das Zusammensein mit nur einer anderen Person schafft nochmals eine andere Art von Intimität, man spricht über andere Dinge als in der grösseren Gruppe, was den anschliessenden Austausch im Plenum bereichert.
Ich bin dieses Mal die einzige, die ihr Geschwister nicht durch Suizid verloren hat. So kommt es vor, dass Themen oder Fragen zur Sprache kommen, die ich nicht zu beantworten vermag oder ich mich und meine eigenen Erfahrungen nicht einbringen kann. Dies erlebte ich aber überhaupt nicht als störend, sondern es zeigte mir einmal mehr auf, wie individuell die Trauer sogar innerhalb der Geschwistertrauer ist, wie unterschiedlich sie erlebt und gelebt wird.
Für den Ausblick in die Zukunft finden wir uns abermals in den Zweiergruppen wieder. Welchen Platz nimmt mein Geschwister denn momentan ein? Bin ich zufrieden damit oder hätte ich es eigentlich lieber anders? Wir stossen schon bald auf die Frage, die mich zu Beginn des Workshops bereits beschäftigt hat. Ist es normal, dass die Trauer mit der Zeit abnimmt? Dass ich nicht mehr nur schon beim Anblick eines Fotos in Tränen ausbreche, sondern es viel mehr mit einem Lächeln in der Hand halte, dankbar für all die Erinnerungen die ich in meinem Herzen trage? Und ja, es geht nicht nur mir so. Einmal mehr bin ich froh, mit Lifewith eine Möglichkeit gefunden zu haben, mich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Denn dieses abschliessende Gespräch hat mich darin bestärkt, dass ich diese Veränderung ruhig annehmen darf. Die Zeit vergeht, das Leben verändert sich, wir verändern uns und mit uns auch unsere Trauer.
dein life with-team