Teilnehmerbericht Life with Treff vom 25. März 2023
Am Samstag, 25. März mache ich mich auf ins Selbsthilfezentrum an der Jupiterstrasse in Zürich. Es ist das erste Mal seit meinem Umzug aus der Stadt Zürich aufs Land und ich stelle fest, dass sich das mit der etwas komplexeren Anreise und den ÖV Verbindungen noch einspielen muss. Ich komme daher etwas zu spät, was ich auf dem Weg der Leitung des Treffs noch mitteile.
Seit ich meine Schwester im Dezember 2017 durch Suizid verloren habe, habe ich an jedem dieser Treffen teilgenommen. Zwischendurch, als Corona sehr akut war, fanden diese Online statt. Es ist schön, dass es nun wieder im realen Leben stattfindet, vor allem da es ja eine sehr sensible Thematik ist. Als ich den Raum im obersten Stock betrete, haben sich alle schon in einem grossen Kreis versammelt. Ich setze mich auf den noch freien Stuhl und das Treffen startet wie gewohnt mit der Vorstellungsrunde. Es ist immer wieder eine Überraschung, wie sich die Gruppe am jeweiligen Tag zusammensetzt. Wir waren in der Vergangenheit auch schon kleinere Runden, nun jedoch kommen regelmässig sehr viele Geschwister. Anschliessend wird das Geschwister vorgestellt, was natürlich emotional keine leichte Aufgabe ist, vor allem für diejenigen, die ihren Bruder oder ihre Schwester erst kürzlich verloren haben.
Danach gibt es wie immer eine Pause und dann werden die Anwesenden in Gruppen eingeteilt, je nachdem wie viele wir im ganzen sind; diesmal ergeben sich 3 Gruppen. Interessanterweise kommt mir der Teil der eigentlichen Gespräche immer viel kürzer vor als zuvor die Vorstellungsrunden. Die Zeit verfliegt in den gebildeten Gruppen wie im Flug. Anfänglich ist die Stimmung vielleicht noch etwas angespannt, aber sobald das Gespräch gestartet ist, kommen neue Gedanken dann wie von alleine. Es ist einfach immer wieder aufs Neue sehr bereichernd zu sehen, was andere in vergleichbaren Situationen durchleben, was sie beschäftigt, welche Schwierigkeiten sie im Umgang mit dem Geschehenen haben, wie sie und die jeweiligen Familien mit dem Verlust umgehen aber auch woran sie sich vielleicht aufrichten, was ihnen Trost oder auch Hoffnung gibt. Das Thema ist so vielschichtig, dass man im Prinzip endlos diskutieren könnte. Oftmals geht es um die Bewältigung des Alltags, jedoch kommen auch grundsätzliche Überlegungen und Fragen zum Zug. Die Zusammensetzung der kleinen Diskussionsgruppen ist nie exakt gleich und daher gibt es so oder so immer neue Inputs. Viel zu schnell ist dann die Zeit um, schliesslich benötigt auch noch die Abschlussrunde mit allen zusammen noch ihren Rahmen.
Ich habe mich im Vorfeld der letzten Treffen auch schon gefragt, ob ich wirklich noch jedes Mal hingehen sollte. Ich denke, am dringlichsten ist es ganz klar unmittelbar nach dem Verlust des Geschwisters. Bei mir jedenfalls war es so. Ich wollte zum Beispiel unbedingt von anderen erfahren, ob in solchen Situationen die Zeit wirklich etwas die Wunden heilt. Jedoch erinnere ich mich dann wieder daran, wie gut mir dieser Anlass tut und wie wertvoll der Austausch immer noch ist. Die Diskussionen in dieser Gruppe füllt eine Lücke für die Betroffenen, etwas was einem auch die besten Freunde nicht geben können. Denn sie durchleben in der Regel ja nicht das Gleiche und darum ist es letztlich nicht möglich, sich komplett in diese Situation hineinzuversetzen. Ich möchte vor allem diejenigen ermutigen, die erst kürzlich ihren Bruder oder ihre Schwester verloren haben, zum Lifewith Treffen zu kommen. Ich bin mir bewusst, dass es anfänglich Überwindung kostet, jedoch lohnt es sich ungemein und ich denke die allerwenigsten bereuen den Entscheid im Nachhinein.
So mache ich mich also am Ende des Nachmittags wieder auf den Weg, und wieder bleibt dieses Gefühl des Gelöstseins zurück, es wurde etwas Ballast von den Schultern genommen.