17 Dez

Life with Teilnehmer Bericht vom Treff am 23. September 2023

Ich bin zu spät – eine Familienkrankheit. Ich trete etwas heftiger in die Pedale und hoffe, dass der Regen wenigstens noch einige Minuten auf sich warten lässt. Ich bin auf dem Weg zu meinem dritten life with-Treffen und auch wenn ich mich noch gut an das warme und leichte Gefühl nach den letzten Treffen erinnern kann, fällt es mir heute schwer.

Der zweite Todestag meines Bruders ist erst einige Tage her und ich habe meine Trauer gerade erst fein säuberlich gefaltet in einer Box verstaut. Mein Leben hat soeben wieder an Farbe gewonnen, nachdem sich die Trauer wochenlang, wie ein schwarzer Schleier über mein Leben gelegt hat. Eigentlich bin ich nicht dazu bereit, die Kiste schon wieder aufzumachen. Eigentlich will ich mich nicht schon wieder damit auseinandersetzen. Und eigentlich wünsche ich mir, ich hätte mich gar nie mit diesem Thema auseinandersetzen müssen. Eine altbekannte Wut brodelt in mir auf und ich stecke sie in meine Beine, denn für mehr ist sie bekanntlich nicht gut. Neidisch äuge ich die Studenten, die vor mir die Strasse kreuzen und ich wünsche mir, ich könnte heute einer von ihnen sein. Unbeschwert auf dem Weg in die Bibliothek und nicht mit einem schweren Herzen auf dem Weg in eine Selbsthilfegruppe für trauernde Geschwister. Immerhin passt das Wetter zu meiner Stimmung: der Himmel grau, die Wolken tränenschwer, die Blätter am Boden tot und farblos. Ich versetze mir einen mentalen Tritt und lasse das Selbstmitleid an der Kreuzung zurück.

Viel zu schnell und doch zu spät stehe ich völlig unvorbereitet vor dem Selbsthilfezentrum der Stadt Zürich. Ich bereite mich auf den unangenehmen Moment vor, in dem sich alle Augen auf den Zuspätkommer richten, während ich die vertrauten Stufen zum Gruppenraum im Dachstock hinaufeile. Dass mich so viele Augen nervös begutachten würden, hatte ich nicht erwartet. Mir wird mit einem Moment klar: Ich bin nicht die Einzige, die sich wünscht, es gäbe keinen Grund dafür, hier zu sein.

Wir teilen uns heute bereits nach der Begrüssung in drei Kleingruppen auf, damit der zeitliche Rahmen nicht gesprengt wird. So gibt es auch genügend Raum für jeden von uns und für unsere Geschwister. Auf dem Weg in die Gruppenräume suchen wir ein Bild aus, das uns an unsere Geschwister erinnert. Eingedeckt mit Getränken und Comfort Food stimmt uns Greenday’s «Wake me up when September Ends» auf die kommenden Stunden ein.

Zuerst stellen wir uns selbst vor, bevor wir in einem zweiten Umgang erzählen, warum uns das gewählte Bild an unser Geschwister erinnert. Wie immer gilt: Alles kann und nichts muss. Einmal mehr erstaunt es mich, wie schnell wir – Menschen, die sich noch nie zuvor gesehen haben – einen vertrauten Umgang miteinander pflegen und unsere Gefühle, Tränen und unser Lachen miteinander teilen. Nach meiner fehlenden emotionalen Vorbereitung habe ich mit einem Sprung ins kalte Wasser gerechnet, aber der geschützte Rahmen und die sanfte Atmosphäre fühlen sich dann doch mehr wie eine warme Umarmung an.

In der Pause treffen die Kleingruppen wieder aufeinander und es entstehen schnell Gespräche. Wir besprechen Dinge, die zwar viele von uns beschäftigen, wir aber oft kaum zur Sprache bringen. Fragen wie: «Wie oft geht ihr zum Friedhof?», «Wie hat sich die Beziehung zu euren Eltern seither verändert?» und «Habt ihr noch Kleider von eurem Geschwister?» Fragen, die ich unter anderen Umständen nie mit Fremden besprechen würde, aber niemand fühlt sich in diesem geschützten Rahmen wie ein Fremder an.

Der zweite Teil des Nachmittags gibt uns die Möglichkeit, uns über Themen auszutauschen, die uns gerade beschäftigen. Wir erzählen von eigenen Erfahrungen, geben unsere «Best practices» weiter oder hören auch einfach nur zu und fühlen miteinander.

Auf dem Heimweg fühle ich mich leichter und das nicht nur, weil die Strecke in diese Richtung bergab führt. Die bittere Wut von vorhin ist verflogen und ich bin dankbar für diesen wertvollen Austausch mit wundervollen Menschen. Die Sonne blickt hinter den Wolken hervor und ich bin mir sicher, dass das Herbstlaub bunter ist als zuvor.

10 Mai

Teilnehmerbericht Life with Treff vom 25. März 2023

Am Samstag, 25. März mache ich mich auf ins Selbsthilfezentrum an der Jupiterstrasse in Zürich. Es ist das erste Mal seit meinem Umzug aus der Stadt Zürich aufs Land und ich stelle fest, dass sich das mit der etwas komplexeren Anreise und den ÖV Verbindungen noch einspielen muss. Ich komme daher etwas zu spät, was ich auf dem Weg der Leitung des Treffs noch mitteile.

Seit ich meine Schwester im Dezember 2017 durch Suizid verloren habe, habe ich an jedem dieser Treffen teilgenommen. Zwischendurch, als Corona sehr akut war, fanden diese Online statt. Es ist schön, dass es nun wieder im realen Leben stattfindet, vor allem da es ja eine sehr sensible Thematik ist. Als ich den Raum im obersten Stock betrete, haben sich alle schon in einem grossen Kreis versammelt. Ich setze mich auf den noch freien Stuhl und das Treffen startet wie gewohnt mit der Vorstellungsrunde. Es ist immer wieder eine Überraschung, wie sich die Gruppe am jeweiligen Tag zusammensetzt. Wir waren in der Vergangenheit auch schon kleinere Runden, nun jedoch kommen regelmässig sehr viele Geschwister. Anschliessend wird das Geschwister vorgestellt, was natürlich emotional keine leichte Aufgabe ist, vor allem für diejenigen, die ihren Bruder oder ihre Schwester erst kürzlich verloren haben.

Danach gibt es wie immer eine Pause  und dann werden die Anwesenden in Gruppen eingeteilt, je nachdem wie viele wir im ganzen sind; diesmal ergeben sich 3 Gruppen. Interessanterweise kommt mir der Teil der eigentlichen Gespräche immer viel kürzer vor als zuvor die Vorstellungsrunden. Die Zeit verfliegt in den gebildeten Gruppen wie im Flug. Anfänglich ist die Stimmung vielleicht noch etwas angespannt, aber sobald das Gespräch gestartet ist, kommen neue Gedanken dann wie von alleine. Es ist einfach immer wieder aufs Neue sehr bereichernd zu sehen, was andere in vergleichbaren Situationen durchleben, was sie beschäftigt, welche Schwierigkeiten sie im Umgang mit dem Geschehenen haben, wie sie und die jeweiligen Familien mit dem Verlust umgehen aber auch woran sie sich vielleicht aufrichten, was ihnen Trost oder auch Hoffnung gibt. Das Thema ist so vielschichtig, dass man im Prinzip endlos diskutieren könnte. Oftmals geht es um die Bewältigung des Alltags, jedoch kommen auch grundsätzliche Überlegungen und Fragen zum Zug. Die Zusammensetzung der kleinen Diskussionsgruppen ist nie exakt gleich und daher gibt es so oder so immer neue Inputs. Viel zu schnell ist dann die Zeit um, schliesslich benötigt auch noch die Abschlussrunde mit allen zusammen noch ihren Rahmen.

Ich habe mich im Vorfeld der letzten Treffen auch schon gefragt, ob ich wirklich noch jedes Mal hingehen sollte. Ich denke, am dringlichsten ist es ganz klar unmittelbar nach dem Verlust des Geschwisters. Bei mir jedenfalls war es so. Ich wollte zum Beispiel unbedingt von anderen erfahren, ob in solchen Situationen die Zeit wirklich etwas die Wunden heilt. Jedoch erinnere ich mich dann wieder daran, wie gut mir dieser Anlass tut und wie wertvoll der Austausch immer noch ist. Die Diskussionen in dieser Gruppe füllt eine Lücke für die Betroffenen, etwas was einem auch die besten Freunde nicht geben können. Denn sie durchleben in der Regel ja nicht das Gleiche und darum ist es letztlich nicht möglich, sich komplett in diese Situation hineinzuversetzen. Ich möchte vor allem diejenigen ermutigen, die erst kürzlich ihren Bruder oder ihre Schwester verloren haben, zum Lifewith Treffen zu kommen. Ich bin mir bewusst, dass es anfänglich Überwindung kostet, jedoch lohnt es sich ungemein und ich denke die allerwenigsten bereuen den Entscheid im Nachhinein.

So mache ich mich also am Ende des Nachmittags wieder auf den Weg, und wieder bleibt dieses Gefühl des Gelöstseins zurück, es wurde etwas Ballast von den Schultern genommen.

30 Sep

Teilnehmerbericht vom 24. September 2022

Wir kennen es alle: Das Stigma um den Begriff «Selbsthilfegruppe». Lange hat es mich davon abgehalten, selbst Teil einer solchen Gruppe zu werden. Irgendwann dominierte der Wunsch, mich mit jemandem auszutauschen, der mich versteht, wirklich versteht. Doch wo findet man diese Menschen?
Erste Versuche, eine Vereinigung von Gleichgesinnten zu finden, waren ohne Erfolg. Es schien für alle Themen eine Gruppe zu geben doch nicht für trauernde Geschwister. Völlig unerwartet stiess ich in einer Infobox unter einem Zeitungsartikel auf «Life with».

«Here we go again»

Als mein Bruder 2021 verstarb war ich 24 Jahre alt. Es war nicht der erste Todesfall in meiner unmittelbaren Familie und ich war schon «ein alter Hase» in dieser Gefühlswelt, die für viele Gleichaltrige unbekannt oder gar undenkbar ist. Als ich vom Tod meines Bruders erfuhr dachte ich «Here we go again.» Ich dachte, ich wüsste was auf mich zukommt, wüsste wie ich damit umzugehen hätte oder was ich bräuchte. Ich lag falsch. Mir wurde schnell klar, dass die Gefühlswelt eines Erwachsenen viel tiefer und vielfältiger ist, als die eines Kindes. Man versteht mehr und bleibt nicht verschont vor all dem, was erledigt werden muss. Man trägt Verantwortung und muss irgendwie funktionieren und den Schritt zurück ins Leben wagen. Natürlich versuchten alle im Umfeld verständnisvoll zu sein und Rücksicht zu nehmen, aber ich fühlte mich einmal mehr wie eine Ausserirdische.

So fand ich mich an einem regnerischen Samstagnachmittag in einem Stuhlkreis voller Unbekannter verschiedener Altersgruppen. In einer ersten Vorstellungsrunde stellten wir uns alle vor, in einer zweiten Runde unser verstorbenes Geschwister. Den ersten Teil hatte ich erwartet, doch Letzteres kam dann doch irgendwie unerwartet. Mein Bruder, aber auch sein Verlust, begleiten mich täglich. Und doch spreche ich nicht oft über ihn. Nicht, weil ich dies nicht will, aber die Reaktion des Gegenübers hält mich oft davon ab. Das Thema Tod und alles, was es mit sich bringt, ist für viele noch ein Tabuthema. Sie wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen und es ist ihnen unangenehm. Ich erwische mich dabei, wie ich der Frage «Hast du Geschwister? » ausweiche oder nach der Antwort möglichst auf ein anderes Thema lenke, bevor ich nicht darum herumkomme, den Tod meines Geschwisters auszusprechen. Manchmal weil ich selbst nicht darüber sprechen möchte, aber in den meisten Fällen dann doch, weil ich nicht möchte, dass sich mein Gegenüber unwohl fühlt. Überrumpelt von einer bedeutungsschweren Antwort, die sie auf eine solch alltägliche Frage nicht erwartet haben. Also schweige ich und lenke ab, trage die Last alleine und fühle mich dabei ein bisschen, als würde ich für ein Verbrechen bestraft, das ich nicht begangen habe. Auch wenn ich mir mehr als bewusst war, wofür ich hierhergekommen war, überrumpelte mich die Aufforderung tatsächlich über meinen Bruder zu sprechen. Das Unbehagen, das wie immer aufkommt, wenn das Thema auf meine Geschwister zu sprechen kommt, setzte ein. Ich hörte erst den Geschichten der anderen Teilnehmern zu und mir wurde klar: In diesem Raum bin ich nicht die Ausserirdische. In diesem Raum ist es in Ordnung, ja sogar erwünscht, darüber zu sprechen. In diesem Raum ist der Verlust von meinem Bruder nicht das, was mich von allen anderen unterscheidet, es ist das, was mich mit ihnen verbindet. Und so sprach ich über meinen Bruder. Es ist schwer in Worte zu fassen, was ich in diesem Moment fühlte. Schmerz natürlich. Doch da war mehr: Freude darüber, anderen von meinem Bruder erzählen zu können und Erleichterung darüber, in einem geschützten Rahmen endlich frei sprechen zu können.

Du bist nicht alleine.

Später tauschten wir uns in kleineren Gruppen aus. Wir teilten «Tipps und Tricks», gaben einander Ratschläge und lernten dabei neue Wege, um uns im Dschungel der Trauer zurecht zu finden. Wir teilten uns über Erfahrungen aus, die sonst niemand versteht und lachten über unsere gemeinsamen «Eigenheiten». Die Gespräche in dieser Runde, umringt von Menschen, die mich verstehen, gaben mir ein lang ersehntes Gefühl der Zugehörigkeit. Das erste Mal in meinem Leben hatte ich das Gefühl, dass meine Erfahrungen nicht einfach nur schmerzhaft sind, sie sind auch für etwas gut. In diesem Rahmen konnte ich meine Trauer endlich für etwas Gutes nutzen und anderen etwas mitgeben, ihnen Hoffnung schenken, Mut machen und das sagen, was ich so oft gerne gehört hätte: Du bist nicht alleine.

Ich hatte erwartet, dass ich nach diesem Treffen traurig sein würde. Vielleicht, weil ich dachte, dass so viele Verluste und deren Auswirkungen auf einem Haufen ein Happy End verunmöglichen würden aber ich wurde eines Besseren belehrt. Als ich den Raum verliess, fühlte ich mich leichter, hoffnungsvoller und stärker.

Austausch mit Gleichgesinnten in einem geschützten Rahmen

«Life with» bietet den Austausch mit Gleichgesinnten in einem geschützten Rahmen. Es gab wichtigen und notwendigen Raum für Trauer, aber die Gespräche wurden nicht von Tod und Verlust dominiert. An diesem Tag gewann ich kurze Einblicke in die Leben von aussergewöhnlichen Persönlichkeiten, die uns viel zu früh verlassen haben. Ich hörte von berührenden Schicksalen, die uns unterscheiden und gleichzeitig verbinden. Doch vor allem lernte ich starke Menschen mit inspirierenden Geschichten kennen, die sich den Weg aus der Dunkelheit und der Kälte in das Leben kämpfen, das sich unsere Gewischter für uns wünschen.

Teilnehmerbericht verfasst von Jasmine

04 Jun

Teilnehmerbericht vom 19. März 2022 – Life with Treff

Wie fängt man einen Bericht über ein Treffen in einer Selbsthilfegruppe an, indem keiner von uns wünscht, Teil davon sein zu müssen. Es wird gesagt, dass die Geschwister die vergessenen Trauernden beim Tod von einem Kind sind. An die Eltern wird gedacht, jedoch nicht an die Geschwister. Aus diesem Grund bin ich umso dankbarer, dass es diese Gruppe gibt. Bei welcher jeder versteht und nachfühlen kann, was man durchmacht oder was man erlebt hat.

Mein Bruder Denis ist an plötzlichen Kindestod mit 15 Monaten gestorben. Nachher hat sich alles schlagartig in meiner Familie geändert. Mein Vater, meine Mutter und ich haben uns unser Familienleben anders vorgestellt und versucht wieder Fuss zu fassen im Leben. Ich habe lange versucht den Tod von meinem Bruder zu verdrängen und auch nicht viel darüber gesprochen. Aber ich habe gemerkt, dass es mich immer wieder einholt und darum habe ich mich vor zwei Jahren das erste Mal in diese Selbsthilfegruppe begeben. Ich habe mich gefragt, ob es gleich abläuft wie im Fernsehen, wenn man eine Selbsthilfegruppe sieht. Auch war es mir ein wenig peinlich zu sagen, dass ich an einem Treffen einer Selbsthilfegruppe teilnehme. Jedoch war die Reaktion meiner Freunde anders als ich gedacht habe. Sie fanden dies eine gute Idee. Auch fand ich nach dem ersten Treffen, dass dies die richtige Entscheidung war. Denn endlich trifft man auf Personen, die nachfühlen können, wie es ist, ein Geschwister zu verlieren sowie die damit verbundenen Gefühle von Trauer, Wut, Scham und Schuld, welche in einem schlummern. Auch dass man immer wieder Situationen im Leben trifft, wo man überlegen muss, möchte ich allen vom Tod meines Bruders/Schwester erzählen oder schweige ich einmal mehr, wenn beispielsweise jemand am gleichen Tag wie das verstorbene Geschwister Geburtstag hat.

Bei diesem Treffen haben wir uns zuerst vorgestellt und in einer zweiten Runde dann unser verstorbenes Geschwister. Normalerweise haben wir uns nach der Vorstellungsrunde nach dem Grund des Todes des Geschwisters in Gruppen aufgeteilt. Bei diesem Treffen haben wir uns für die Aufteilung nachdem, wie alt wir waren, als unser Geschwister gestorben ist, aufgeteilt. Auffallend an diesem Treffen für mich war, dass viele Teilnehmende ein Trauma mit sich tragen, was mir auch zeigt, dass man zu wenig auf die Geschwister achtet, wenn ein Kind stirbt. Hier finde ich, sollte es bessere Hilfe für betroffene Familien geben.

In den kleinen Gesprächsrunden haben wir uns dann über Themen ausgetauscht, wie beispielsweise Was antwortet man auf die Frage, wie viele Geschwister man hat. Und wem sagt man, dass der Bruder/Schwester verstorben ist. Ausserdem wie geht man mit der unangenehmen Stille um, wenn dann das Gegenüber nicht weiss, was er antworten soll. Obwohl unsere Schicksale unterschiedlich sind, weisen sie auch Parallelen auf. Nach den Treffen gehe ich gestärkt raus, mit dem Wissen, dass ich nicht allein bin mit dieser Erfahrung und mit neuen Bekanntschaften netter Menschen.

Da wir nicht herumkommen, den Tod unseres Geschwisters anzunehmen und zu integrieren in unsere Lebensbiografie, freue ich mich auf das nächste Treffen, bei welchem wir sicher alle wieder einen Schritt nach vorne bei der Verarbeitung des Todes unseres Bruders/Schwester machen werden.

15 Nov

Teilnehmerbericht vom 9. Oktober 2021 – Life with Treff

Der Suizid unseres Bruders ist noch sehr frisch, gerade erst sind 3 Monate voller Schmerz und Trauer vergangen. Völlig unerwartet und ohne Worte hat er entschieden, uns zu verlassen. Für meine kleine Schwester und mich brach an diesem Tag die Welt zusammen – waren wir doch immer das Dreamteam und uns so nahe.

Die Anteilnahme von Familie und Freunden war und ist stets da, doch niemand weiss, was wir aktuell durchmachen. Wie geht man mit einem Suizid in so jungen Jahren um? Viele Fragen und doch keine Antworten. Der Drang nach einem Austausch mit “Gleichgesinnten” schien für uns eine gute Lösung und so kamen wir zu Life with.

Schon auf der längeren Anfahrt nach Zürich haben wir uns ausgetauscht – wie wird es sein? Wie offen können wir sprechen? Werden wir verstanden? Geht es uns danach besser? Schon kurz nach der herzlichen Begrüssung wussten wir, dass der Entscheid zu diesem Treffen der Richtige war. Der strukturierte und gut durchdachte Ablauf garantierte, dass jeder Teilnehmende zu seiner Sprechzeit und damit zu seiner Verarbeitung kommt. Für uns war die Vorstellung des verlorenen Geschwisters sehr eindrücklich. Zu erfahren, was andere “Gleichgesinnte” gerade fühlen und inwieweit der Verarbeitungsprozess fortgeschritten ist, hat uns gezeigt, dass es auch Licht am Ende dieses schwarzen Tunnels gibt. Wie wichtig es für uns ist, von den Erfahrenen unter Life with zu erfahren, dass es immer Höhen und Tiefen gibt und ihnen Rituale und die Treffen mit Life with weiterhelfen. Sehr einfühlend fanden wir, dass wir für die verstorbenen Geschwister je eine Kerze anzünden konnten. Auch an Verschnaufpausen fehlte es an diesem Samstag nicht und für das Wohlergehen wurde mit herzhaften Snacks/Süssem gesorgt. Im Anschluss teilten wir uns in zwei Gruppen auf und konnten so den Austausch noch gezielter fördern und die persönlichen Anliegen sowie Fragen platzieren. Es war für uns wichtig, dass wir mit “Erfahrenen” sprechen konnten und uns wurde sehr geholfen.

Unsere Erwartungen an diesen Samstagnachmittag wurden übertroffen. Wir haben die Möglichkeit erhalten, uns offen und ohne Hemmungen auszutauschen und unserem Bruder unter “Gleichgesinnten” einen Platz gegeben – wir konnten trauern! Wir fühlten uns sehr aufgehoben und verstanden und sind beim nächsten Treffen gerne wieder dabei – könnte unser neues Ritual werden, denn wir haben gelernt, dass Rituale helfen.

22 Sep

Teilnehmerbericht vom 12. Juni 2021 – Life with Treff

Nach dem Suizid meines Bruders vor mehr als zwei Jahren war für mich relativ schnell klar, dass ich gerne andere Geschwister treffen möchte, die ein ähnliches Schicksal erlebt haben, um mich mit ihnen auszutauschen.

Deutlich erinnere ich mich noch an mein erstes Life with Treffen, als ich in den schön dekorierten Raum gekommen bin und ohne Worte sofort eine Verbundenheit zu den anderen Personen im Raum gefühlt hatte. Natürlich war ich sehr nervös davor, was mich dort erwarten würde. Meine Erwartungen wurden damals mehr als übertroffen. Seitdem habe ich kein Treffen mehr verpasst.

Und so traf man sich auch an diesem warmen Samstag wieder in Zürich. Das Leiterteam hatte sich aufgrund des schönen Wetters und Corona an dem Tag entschieden, das Treffen draussen hinter dem Gebäude der Selbsthilfe Zürich stattfinden zu lassen. Im Schatten der Bäume war ein Stuhlkreis aufgebaut, in dessen Mitte ein paar Äste und ein paar Blumen aufgestellt wurden. Dort treffe ich bekannte Gesichter und freue mich über die Neuen, welche ich noch nicht kenne.

Nach einer kleinen Vorstellungsrunde von uns selbst hatten alle Teilnehmenden Zeit, von ihrem Bruder oder ihrer Schwester zu erzählen und dann in Erinnerung an diese eine Schleife mit deren Namen an die Äste zu binden. In der Verschnaufpause danach wurde für alle Anwesenden spontan noch ein Eis geholt, was definitiv die Stimmung an diesem warmen Tag weiter gehoben hat. Danach teilten wir uns in zwei Gruppen auf, um persönlichen Anliegen, Fragen und Dingen, die uns auf dem Herzen liegen, Raum geben zu können.

Bei jedem Treffen habe ich das Gefühl, unter Freunden zu sein. Freunde, welche man schon seit etlichen Jahren kennt, auch wenn es das erste oder zweite Mal ist, dass man sich trifft. Das ist für mich das Besondere an diesen Treffen, Vertrautheit und Verbundenheit, die man nicht beschreiben kann. Bei Life with Treffen hat alles Platz, weinen, schweigen, austauschen, aber auch gemeinsames lachen. Ganz nach dem Motto: Alles darf, nichts muss. Und so geht auch dieses Treffen wieder zu Ende. Mit der Gewissheit, dass es einen Ort und Menschen gibt, wo man über Dinge sprechen kann, welche woanders vielleicht keinen Platz finden.

21 Mai

Teilnehmerbericht vom 25. Januar 2020 – Life with Treff

Schon zwei Jahre ist es mittlerweile her seit ich damals meinen ersten Life With Treff besucht habe. Gespannt und etwas nervös warte ich auf den Bus. Wie es heute wohl werden wird?

Es sind nun schon ein paar Jahre vergangen, seit mein Bruder von uns gegangen ist und ich befinde mich an einem total anderen Punkt in der Trauerverarbeitung als noch vor zwei Jahren. Dies fällt mir jetzt da ich hier bin besonders auf und ich kann viel offener in diese Gruppe gehen als beim letzten Mal.

Im Selbsthilfecenter angekommen begegnen mir sofort bekannte Gesichter. Wie letztes Mal sind die Stühle im Kreis und Kerzen auf dem Tischchen in Herzform aufgestellt, für jeden Bruder und jede Schwester ein Lichtlein, etwas das mir besonders gefällt. Anfangs wird uns vom Team der Ablauf erklärt und dann geht es auch schon los. Zuerst stehen wir auf und stellen uns einander vor, mithilfe einer Schnur die wir immer dem/der Nächsten überreichen stellen wir eine sichtbare Verbindung zueinander her. Aber wir alle fühlen uns schon seit dem Betreten des Raumes verbunden. Das ist das Schöne an dieser Zusammenkunft. Mann muss sich nicht verstellen, verstecken, verbiegen, man muss nichts. Aber man darf alles. Wir dürfen so sein wie wir uns in diesem Moment fühlen und wir nehmen einander an, ohne zu urteilen, wir alle wissen wie es ist, ein Geschwister zu
verlieren. Dieses Sein dürfen fühlt sich für mich wohltuend an. Danach setzen wir uns wieder in den Kreis. Fritz spielt nun ein Lied ab und wir hören alle zu und denken dabei an unsere lieben. Eine schöne Idee. Danach stellen wir nacheinander unser Geschwister vor und zünden ihm ein Lichtlein an. Dieser Teil ist anstrengend und schön zugleich. Meinem Bruder Raum geben und von ihm zu erzählen tut gut und ich merke wie schön es ist wieder einmal über ihn zu sprechen. Es ist auch aufwühlend. Danach bin ich froh gibt es eine kurze Pause und ich kann einen Kaffee trinken, ein bisschen mit den Anderen Plaudern.

Nach der Pause teilen wir uns in drei Gruppen auf und tauschen uns dann untereinander weiter aus, besprechen das was uns beschäftigt, geben einander Ratschläge und machen Mut, das ist sehr schön. Zu merken wie es allen gut tut und jeder seinen Teil beitragen kann. Die Zeit verfliegt heute wie im Flug und wir müssen dann irgendwann zum Ende kommen.

Es war für mich ein sehr schöner Treff und ich habe die Atmosphäre als sehr angenehm empfunden. Ich nehme für mich wertvolle Stunden und die Erkenntnis mit, dass ich weiter gekommen bin mit der Verarbeitung und dass ich meinen Bruder ein Stück loslassen konnte und ihn trotzdem nicht vergessen habe, davor hatte ich immer Angst. Ich vermisse ihn nach wie vor sehr.

11 Mai

Die andere WC Spülung

Der folgende Text stammt von Regula, einer Teilnehmerin unserer Gruppe. Ein nachdenklicher und auf den Punkt gebrachter Text, den ich sehr gut nachvollziehen kann. Viel Spass beim Lesen! Fritz

 

Seit dem Tod meines kleinen Bruders Tobias ist Vieles anders. Einige Dinge, die mir immer Spass gemacht haben, haben ihren Reiz verloren. Lieder, die ich gerne gesungen habe, tönen falsch und hohl. Im Zusammensein mit fröhlichen Menschen, bei dem ich mich früher wohl gefühlt habe, fühle ich mich plötzlich fehl am Platz. Die Welt ist anders.

In dieser fremden Welt muss ich mich neu orientieren. Ich muss neue Wege finden zu leben, mich zu freuen, mit Menschen im Kontakt zu sein.

Im Januar besuche ich zum ersten Mal das Treffen der Geschwister von Lifewith im Selbsthilfezentrum in Zürich. Ganz banal muss ich vor dem Beginn zuerst aufs WC und dort suche ich dann vergebens die Spülung hinter dem WC. Mein Blick fällt seitlich auf die Wand. Dort hat es einen Lichtschalter – er ist mit «Spülung» angeschrieben. «Was ist denn das???» denke ich. Und dann: «Ja. Genauso ist es. Nicht einmal mehr darauf kann man sich verlassen, wo die Spülung beim WC ist!»

Manchmal fühle ich mich fremd in dieser Welt. Einsam und unverstanden, alleine – weil kaum jemand nachvollziehen kann, wie es mir geht. Manchmal ist die Trauer so gross und die Verzweiflung drückt mir mein Herz zusammen.

Aber ich will auch in dieser seltsamen Welt weiterleben. Ich will Leben – auch für Tobias. Es braucht Zeit, sich umzugewöhnen. Sich neu zu orientieren. Dinge neu zu gewichten. Loszulassen, was nicht trägt. Investieren in das, was einem wirklich wichtig ist. Die Freude zu suchen – und sie mir zu erlauben.

So, wie wenn man neue Wasserleitungen bauen muss, weil die alten nicht mehr taugen. Da muss man dann vielleicht auch eine WC-Spülung seitlich in die Wand einbauen und einen Lichtschalter neu anschreiben mit «Spülung». Aber man kann Lösungen finden und neue Wege.

Tobi hätte den Lichtschalter zum WC-Spülen super gefunden. Ich weiss genau, wie er gelacht hätte. Er fehlt mir sehr.

Regula

11 Nov

Teilnehmerbericht Life with Treff

Der Tod meiner Schwester hat mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt. Ich habe nie gedacht, dass meine 20-jährige Schwester mich so früh verlassen muss.

All die anschliessenden (Sinnes-) Fragen, die mir niemand beantworten konnte und der ganze Schmerz, den niemand lindern konnte, waren vor allem im ersten Jahr unerträglich. Obwohl ich viele gute, hilfsbereite Menschen an meiner Seite hatte, fühlte ich mich doch oft alleine. Die wichtigste Person in meinem Leben fehlte und niemand schien diese Leere zu verstehen.

Bei Life with treffe ich auf Menschen mit ähnlichen Schicksalsschlägen. Alle 6 Monate organisiert das Leitungsteam ein Treffen, bei welchem den verstorbenen Geschwistern

Raum gegeben wird. Das leider so oft tabuisierte Thema ‘’Tod» und alle Fragen und Gedanken können offen diskutiert werden. Ich kann meine Probleme im Alltag bereden und auch mal Wut und Enttäuschung ausdrücken.

Obwohl mich die Geschichte von den anderen Teilnehmern oft sehr mitnimmt, kann ich viel von ihren Erfahrungen und Ansichten lernen. Es ist auch schön, die persönliche Entwicklung der Teilnehmer von Treffen zu Treffen zu sehen, das gibt mir sehr viel Kraft und vor allem Hoffnung. Hoffnung, dass ich es schaffen werde. Schaffen heisst in diesem Sinn nicht, dass der Schmerz verschwinden wird, sondern dass ich lerne, mit diesem Schmerz umzugehen und meine Schwester auf eine andere Art und Weise in mein Leben einbinde als ich es bisher gewohnt war.

Lifewith hilft mir, meinen Schmerz besser zu ertragen und ermöglicht es, mich mit Menschen mit ähnlicher Geschichte auszutauschen und zu vernetzen. Ich fühle mich aufgehoben und verstanden, egal in welcher Trauerphase ich gerade bin. Ich bin enorm dankbar für diese einzigartige, wertvolle Möglichkeit.

26 Dez

Weihnachtszeit – eine schwierige Zeit

In der Zwischenzeit sind die Weihnachtstage fast wieder vorbei. Ich denke es ist nicht eine einfache Zeit für uns alle, die einen geliebten Mensch verloren haben.

Diese besinnliche Zeit lässt bei mir wieder Gedanken aufkommen für die ich im Alltag nicht wirklich Zeit finde. Was würde mein Bruder heute machen? Wäre er bereits verheiratet oder hätte eine Freundin? Ich weiss es nicht. Ich kann nur darüber fantasieren. Ich merke, dass diese Gedanken nichts bringen und lege sie weg.
Heute Morgen habe ich eine Nachricht von einem Lifewith Mitglied, dessen Bruder sich vor 3 Jahren an Weihnachten das Leben genommen hat, erhalten. Mich berühren die Worte dieses Mitglied.

Es ist sehr schwer einen geliebten Bruder zu verlieren, vor allem an Weihnachten – das Fest der Liebe. Ich erinnere mich an unsere Weihnachten nach dem Tod meines Bruders zurück. Es war sehr hart. Aber mittlerweile hat sich unser Festtagsritual, meiner Meinung nach, in eine gute Richtung entwickelt. Wir schenken uns nichts materielles mehr. Wir schenken uns gegenseitig Zeit, was meiner Meinung das Wertvollste ist.

Plötzlich kommt mir das Buch der Trauerphasen von Kübler Ross wieder in den Sinn. Am Schluss dieses Buch lernte sie von einem Interviewpartner folgendes:

„Erst, wenn wir wirklich begriffen haben, dass wir auf Erden nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung haben – und dass es keinerlei Möglichkeit gibt, zu wissen, wann diese Zeit vorüber ist –, erst dann werden wir damit beginnen, jeden Tag so vollständig zu leben, als wäre es der einzige, der uns zur Verfügung steht.“

In diesem Sinn wünsche ich allen Lesern / Leserinnen meines Textes Zeit für die Liebsten  nicht nur während des Weihnachtsfest & von Herzen einen guten Rutsch ins 2019.